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…starke Raucher…

4. Juni 2008

 

4. 6. 08 Mi

Daß wir in aberwitzigen Zeiten leben, habe ich sicher schon gesagt; und wenn nicht hier dann eben in eos-o-ton. Die Absurditäten nehmen zu und der gesunde Menschenverstand oder besser die eigene unverstellte Wahrnehmung geraten immer mehr ins Hintertreffen. Wer noch selbst und auf höchst eigene Art denkt, sieht sich heutzutage leicht seltsamen Vorwürfen ausgesetzt, etwa daß er gewisse Vorurteile hege und nicht flexibel genug sei, dafür engstirnig, eben nicht progressiv sondern womöglich reaktionär oder oh Schreck oh Graus gar rechts sein könnte – nur weil er nicht jeden Blödsinn des Zeitgeists alsbald mitmacht und nachplappert wie diese SF-mäßige Kampagne, die seit Jahren schon den ganzen Westen heimsucht und hier ja auch Thema ist. Unter dem Deckmäntelchen des vorgeblichen Schutzes bzw. umfassender Schutzgesetze bezüglich bestimmter Gruppen und Völkerschaften versuchen die Sozialingenieure aufs neue das ganze Land unter ihre Kontrolle zu bringen und die Bewohner dieses Landes nach ihren hochwissenschaftlichen Konzepten und Plänen für die neue weltumfassende Gesellschaft schrittweise umzuformen dh. mittels Gesetzen und Sanktionen immer stärker zu pädagogisieren. Es riecht verdammt nach Erziehungsdiktatur, in die wir so nach und nach abzugleiten drohen, bevor dann etwas ganz anderes kommen dürfte. Aber das steht auf eim andern Blatt. Nun, die Zukunft wird jedenfalls heiß, aber das muß die Raucher nicht sonderlich schrecken. Denn die Spezies des Homo fumans hat seit jeher überdurchschnittlich viele mutige, wenn nicht tollkühne, besonders kommunikative wie auch sehr kreative Menschen in ihren Reihen gezählt wenn nicht hervorgebracht. Von daher ist ein bedachter und ausgeglichener Raucher in kritischen Situationen eim hektischen und ständig vernünftelnden Nichtraucher durchaus vorzuziehen. Damit das nicht bloß ein (eventuell provozierender) Sprch bleibt, will ich gern das zuvor Gesagte durch ein Beispiel aus der deutschen Literatur illustrieren. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein kaltblütiger Kerl, der auch in einer äußerst angespannten Situation auf sein Pfeifchen nicht verzichten will …

Sie stammt von Heinrich von Kleist und ist die erste aus der neuen Reihe Starke Raucher.

 

 
 

 

 

Heinrich von Kleist

Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege
 

 

In einem bei Jena liegenden Dorf, erzählte mir, auf einer Reise nach Frankfurt, der Gastwirt, daß sich mehrere Stunden nach der Schlacht, um die Zeit, da das Dorf schon ganz von der Armee des Prinzen von Hohenlohe verlassen und von Franzosen, die es für besetzt gehalten, umringt gewesen wäre, ein einzelner preußischer Reiter darin gezeigt hätte; und versicherte mir, daß wenn alle Soldaten, die an diesem Tage mitgefochten, so tapfer gewesen wären, wie dieser, die Franzosen hätten geschlagen werden müssen, wären sie auch noch dreimal stärker gewesen, als sie in der Tat waren. Dieser Kerl, sprach der Wirt, sprengte, ganz von Staub bedeckt, vor meinen Gasthof, und rief: »Herr Wirt!« und da ich frage: was gibts? »ein Glas Branntewein!« antwortet er, indem er sein Schwert in die Scheide wirft: »mich dürstet.« Gott im Himmel! sag ich: will er machen, Freund, daß er wegkömmt? Die Franzosen sind ja dicht vor dem Dorf! »Ei, was!« spricht er, indem er dem Pferde den Zügel über den Hals legt. »Ich habe den ganzen Tag nichts genossen!« Nun er ist, glaub ich, vom Satan besessen –! He! Liese! rief ich, und schaff ihm eine Flasche Danziger herbei, und sage: da! und will ihm die ganze Flasche in die Hand drücken, damit er nur reite. »Ach, was!« spricht er, indem er die Flasche wegstößt, und sich den Hut abnimmt: »wo soll ich mit dem Quark hin?« Und: »schenk er ein!« spricht er, indem er sich den Schweiß von der Stirn abtrocknet: »denn ich habe keine Zeit!« Nun er ist ein Kind des Todes, sag ich. Da! sag ich, und schenk ihm ein; da! trink er und reit er! Wohl mags ihm bekommen: »Noch eins!« spricht der Kerl; während die Schüsse schon von allen Seiten ins Dorf prasseln. Ich sage: noch eins? Plagt ihn –! »Noch eins!« spricht er, und streckt mir das Glas hin – »Und gut gemessen«, spricht er, indem er sich den Bart wischte und sich vom Pferde herab schneuzt: »denn es wird bar bezahlt!« Ei, mein Seel, so wollt ich doch, daß ihn –! Da! sag ich, und schenk ihm noch, wie er verlangt, ein zweites, und schenk ihm, da er getrunken, noch ein drittes ein, und frage: ist er nun zufrieden? »Ach!« – schüttelt sich der Kerl. »Der Schnaps ist gut! – Na!« spricht er, und setzt sich den Hut auf: »was bin ich schuldig?« Nichts! nichts! versetz ich. Pack er sich, ins Teufelsnamen; die Franzosen ziehen augenblicklich ins Dorf! »Na!« sagt er, indem er in seinen Stiefel greift: »so solls ihm Gott lohnen«, und holt, aus dem Stiefel, einen Pfeifenstummel hervor, und spricht, nachdem er den Kopf ausgeblasen: »schaff er mir Feuer!« Feuer? sag ich: plagt ihn –? »Feuer, ja!« spricht er: »denn ich will mir eine Pfeife Tabak anmachen.« Ei, den Kerl reiten Legionen –! He, Liese, ruf ich das Mädchen! und während der Kerl sich die Pfeife stopft, schafft das Mensch ihm Feuer. »Na!« sagt der Kerl, die Pfeife, die er sich angeschmaucht, im Maul: »nun sollen doch die Franzosen die Schwerenot kriegen!« Und damit, indem er sich den Hut in die Augen drückt, und zum Zügel greift, wendet er das Pferd und zieht von Leder. Ein Mordkerl! sag ich; ein verfluchter, verwetterter Galgenstrick! Will er sich ins Henkers Namen scheren, wo er hingehört? Drei Chasseurs – sieht er nicht? halten ja schon vor dem Tor? »Ei was!« spricht er, indem er ausspuckt; und faßt die drei Kerls blitzend ins Auge. »Wenn ihrer zehen wären, ich fürcht mich nicht.« Und in dem Augenblick reiten auch die drei Franzosen schon ins Dorf. »Bassa Manelka!« ruft der Kerl, und gibt seinem Pferde die Sporen und sprengt auf sie ein; sprengt, so wahr Gott lebt, auf sie ein, und greift sie, als ob er das ganze Hohenlohische Korps hinter sich hätte, an; dergestalt, daß, da die Chasseurs, ungewiß, ob nicht noch mehr Deutsche im Dorf sein mögen, einen Augenblick, wider ihre Gewohnheit, stutzen, er, mein Seel, ehe man noch eine Hand umkehrt, alle drei vom Sattel haut, die Pferde, die auf dem Platz herumlaufen, aufgreift, damit bei mir vorbeisprengt, und: »Bassa Teremtetem!« ruft, und: »Sieht er wohl, Herr Wirt?« und »Adies!« und »auf Wiedersehn!« und: »hoho! hoho! hoho!« – – So einen Kerl, sprach der Wirt, habe ich zeit meines Lebens nicht gesehen.

 Am Ende sei mir noch ein kleiner Hinweis gestattet, eine interessante Lesung im LI-LA Literatur-Laden betreffend, in der eine Figur von ähnlichem Kaliber die Hauptperson ist. das Rauchen ist zwar nicht gerade Thema bei dieser Lesung, aber das ein oder andere Pfeifchen stecken sich die Protagonisten dann doch an.

 

 

 

Nach den doch mehr umfassenden wie auch tiefsinnigen Gedanken der letzten Lesung möchte ich nun in eine ganz andere Kiste greifen und einen wirklich komischen Text mit witzigen Szenen und vielen drastisch-drolligen Bildern präsentieren, der einen schon beim stummen Lesen für sich immer wieder zu Heiterkeitsausbrüchen animiert. Zugegeben eine ziemlich alte Geschichte, genauer ein Schelmenroman, der schon mehr als 300 Jahre auf dem Buckel hat und dennoch trotz (oder wegen) der ungewohnten barocken Ausdrucksweise sehr zum Lachen reizt. Sprache und Szenen sind derb-sinnlich gehalten und es gibt komische und skurile Situationen zuhauf
Im Mittelpunkt dieses kleinen Romans von Johann Beer steht ein ziemlich heruntergekommener Landadeliger, ein Freigeist dazu, der ganz seinen Launen nachgeht oder wie man damals sagte seine Grillen pflegt und sich einen Teufel um die Meinung seiner Standesgenossen schert. Und der obendrein ein lockeres Mundwerk hat und für manchen Spaß zu haben ist. Genannt wird er der faule Lorenz hinter der Wiesen, weil er am liebsten faul hinterm warmen Ofen liegt… Ein echter Spaß und eine kleine Zeitreise dazu. Aus diesem ungemein komischen Roman hören Sie die interessantesten Kapitel. Ich glaub, ich versprech nicht zuviel, in der nächsten Lesung ist also Lachen angesagt.
Am Freitag den 6. Juni 08 um 20 Uhr im LI-LA Literatur-Laden in Berlin-Charlottenburg – Wilmersdorfer Str. 9

Eine barocke Lesung mit den vergnüglichsten Ausschnitten aus

Johann Beer – ‚Das Narrenspital‘

 

Haben Sie Lust etwas ‚Neues‘ zu entdecken und dabei mal wieder aus vollem Herzen abzulachen ? Eo Scheinder liest aus dem derb-sinnlichen Roman von Johann Beer – eim Musterbeispiel quietschlebendiger Barockliteratur. Doch keine Angst, die Sprache wirkt nicht sonderlich verstaubt, mögen auch manche Ausdrücke und Redewendungen altertu:mlich anmuten; denn im Gegenzug wird sehr viel an Witz und Komik geboten, daß es eine wahre Freude ist und alles in überaus drolligen und drastischen Bildern – eine höchst vergnügliche Zeitreise in die Welt des Barock. Erfrischend komisch.

 

 

 

   

 

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